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Analyse

Reece Oxford: Innen stark oder außen vor?

Es gab einmal eine Zeit, in der wurden die Positionen auf der Taktiktafel mit dem Lineal vermessen und jeder Spieler hatte einen akribisch durchgemessenen Raum zu beackern. In jenem Jahrhundert, in der die Startelf in der Regel auf dem Trikot von eins bis elf durchnummeriert war, wurde dem linken Außenverteidiger die Nummer drei zugedacht. In Gladbach scheint diese Rückennummer seit nunmehr zwei Jahren für den Platz in der Innenverteidigung zu stehen, der mit einem hochveranlagten, aber ausgeliehenen Talent besetzt wird. Nach dem absehbaren und dennoch schmerzhaften Rückgangs Andreas Christensens an die Stamford Bridge, hat Max Eberl mal wieder Rainer Bonhoffs exzellente Kontakte spielen lassen und das nächste Innenverteidigerjuwel von der Insel per Leihe verpflichtet. Für ein Jahr wechselte Reece Oxford nun zur Fohlenelf. Doch wer ist Gladbachs neue Nummer drei eigentlich und warum wird er im Mutterland des Fußballs bereits mit Rio Ferdinand verglichen? Wir haben unsere Flockmaschine beiseite geräumt und ihm uns in dieser Talentkritik gewidmet.

Auf Reisen in London, im Herzen ein Gunner

“Schon als Kind habe ich in der Bettwäsche von Arsenal geschlafen”, so oder so ähnlich dürfte sich der junge Reece Oxford, leidenschaftlicher Arsenal-Anhänger, im Kinderzimmer seine erste Pressekonferenz bei seinem Traumverein nachgespielt haben. Born and raised in Edmonton, London – wie der Engländer sagen würde – sollte Oxfords erste größere Station in der Fußballwelt jedoch an der White Hart Lane beginnen. Ausgerechnet die Lokalrivalen der Tottenham Hotspurs lotsten Oxford in ihre Jugendakademie, in der er sich nach kurzer Zeit jedoch zunächst nicht durchsetzen konnte. Mit elf Jahren zog es ihn innerhalb Londons weiter. Wechselt man in der Londoner U-Bahn von der Overground Line zur District Line und reist vom Norden in den Osten, passiert man die Haltestelle “Upton Park”. Dieser Name, obgleich er mittlerweile Geschichte ist, erinnert Fußballnostalgiker noch immer an glorreiche Zeiten: Das Stadion von West Ham United (nach dem Neubau Boleyn Ground genannt) sollte Oxfords neue fußballerische Brutstätte werden.

Schon früh wird Oxford, der seit der U-16 alle Jugendauswahlmannschaften der Three Lions durchlaufen hat, ein solch großes Talent bescheinigt, dass ihn viele bereits mit dem wohl erfolgreichsten Verteidiger aus West Hams Jugendakademie vergleichen: Rio Ferdinand. Fußstapfen, die Oxford in West Ham bisher höchstens mit dem kleinen Zeh hat ausfüllen können. Nachdem er in der Saison 2014/2015 zum ersten Mal auf den Spielbögen der Profimannschaft auftauchte, wurde er durch seine besonderen Leistungen in der U21 der Mannschaft in jenem Jahr mit der höchsten Auszeichnung innerhalb der Jugendakademie der Hammers ausgezeichnet. Unter der Obhut von Coach Slaven Bilic wurde Oxford in der Europa League Qualifikation der Folgesaison zum jüngsten Spieler in West Hams Geschichte.

Ausgerechnet gegen Herzblatt Arsenal überzeugte der Youngster noch in der Hinrunde der abgelaufenen Spielzeit in der Innenverteidigung, verhalf seinem Team zu einem 2:0 Auswärtssieg im Emirates Stadium. Im Winter folgte dann der Leihwechsel zum FC Reading, der von Jaap Stam gecoacht wird. Unter Stam, der immer wieder Oxfords Ausflüge auf Social Media Kanälen kritisierte, brachte es der junge Engländer nur auf fünf (Kurz-)Einsätze, konnte sich nicht richtig akklimatisieren. Stam führte hierfür auch an, dass er sich in der kurzen Zeit nicht an die Intensität seines Trainings gewöhnen konnte. Trotz all dem hält Slaven Bilic nach wie vor große Stücke auf Oxford, bezeichnet ihn als einen Jungen, “der alles, alles” habe und “ein großer Spieler” werde. Die nächsten Schritte soll Oxford nun also in Gladbach gehen.

Oxfords Spielweise

Der großgewachsene Oxford gehört zu jener Zunft schneller und athletischer Innenverteidiger, die kein Laufduell mit dem Gegenspieler scheuen. Dabei strahlt er eine derartige Ruhe am Ball und in den Bewegungsabläufen aus, die Coach Bilic bereits einmal zu dem Scherz verleitet haben, dass er aufgeregter bei einer Begegnung mit Messi sei als Oxford. Auch wenn Stam, zugegebenermaßen ein Disziplinfanatiker unter den Trainern, immer wieder seine Affinität zu digitalen Posts kritisierte, wird Oxford gemeinhin als Musterschüler, der taktische Vorgaben schnell umsetze, gelobt. Seine Statur und Athletik sichern Oxford Vorteile im defensiven und offensiven Kopfballspiel – letzteres konnte er bei Gladbach bereits unter Beweis stellen, als er per Kopf zum 1:1 Ausgleich im Testspiel gegen Malaga traf.

Allerdings schafft es Oxford oft nicht, seinen Körper gewinnbringend in direkten Zweikämpfen am Boden einzusetzen. Spielt er als Innenverteidiger, so fällt es ihm bei starken Gegenspielern bisher schwer, diese durch geschicktes Stellen oder Blocken vom Ball zu trennen. Manchmal wirken seine Aktionen dadurch überhastet, nicht durchdacht oder gar wie Slapstick Einlagen – Eindrücke, die auch die bisherigen Leistungen in der Vorbereitung durchaus bestätigen. Er muss hier also deutlich an seiner körperlichen Durchsetzungsstärke und an seinem Zweikampfverhalten arbeiten. Wiederum positiv anzumerken sind Oxfords technische Qualitäten, die einen Kombinationsfluss auch im hinteren Drittel nicht behindern. Seine Versuche, das Mittelfeld auch mal mit langen Pässen zu überbrücken und das Spiel so einzuleiten, gelingen zwar überdurchschnittlich häufig, sind jedoch meist in ihrer Ausführung zu risikoreich. Der Spielaufbau erfolgt bei Oxford meist über seinen starken rechten Fuß, der auch Dieter Hecking zu dem Einsehen verleitet hat, dass Oxford wohl eher in der rechten Innenverteidigung und nicht etwa wie in den meisten Testspielen links aufgeboten werden sollte. Seine Passquote ist dabei mit durchschnittlich 83% ausgereift.

Glück im Unglück?

Zu einer seiner größten Stärken gehört definitiv Oxfords Vielseitigkeit, oder wie es spätestens seit Lucien Favre in Gladbach zum Modewort geworden ist: Polyvalenz. Ob in der Innenverteidigung einer Viererkette, als rechter Mann in der Dreierkette oder gar im defensiven Mittelfeld. Oxfords Ruhe, seine Präsenz in der Luft und seine Sicherheit im Kombinationsspiel machen ihn variabel einsetzbar. Doch wo ist mit ihm in Gladbach am ehesten zu rechnen? Die Innenverteidung scheint in dem von Dieter Hecking bevorzugten 4-4-2 (in Abwandlung wohl 4-2-3-1) bei idealem Verlauf mit Jannik Vestergaard und Rekordtransfer Matthias Ginter gesetzt zu sein. In dieser Konstellation wäre Reece Oxford wohl Back-Up Nummer eins für Ginter, die Einsatzchancen jedoch durch den Wegfall der europäischen Duelle rar gesät. Bekanntlicherweise ist Hecking zudem niemand, der in der Defensive viel rotiert. In dem neu einstudierten System B, dem 3-5-2, bestehen für Oxford durchaus Hoffnungen auf Spielzeit als rechter Innenverteidiger, hier tritt er aber in Konkurrenz zum erstarkten Nico Elvedi und Publikumsliebling Tony Jantschke.

Der wahrscheinlichste Fall des Einsatzes wird durch einen traurigen Umstand begünstigt: im letzten Test gegen Leicester City hat sich Tobias Strobl das Kreuzband und den Außenmeniskus im Knie gerissen, wird monatelang ausfallen. Neben den wohl gesetzten Kramer und Zakaria verspricht Oxford im Vergleich zu Laszlo Bénes oder Jonas Hofmann, der auf der Sechs bisher nie überzeugen konnte, als einziger Qualitäten in der defensiven Absicherung. Strobls Unglück könnte also zum Glücksfall für den jungen Oxford werden. Gladbach hat sich jedenfalls für kleines Geld eine weitere Alternative im Kader geschaffen, die in vielen Momenten noch Gold wert sein könnte. Vielleicht bleibt Oxford – wie auch Christensen – ja sogar über eine Saison hinaus die berüchtigte Nummer drei im Fohlenstall.

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