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Analyse

Julian Pollersbeck: Neuster Absolvent der „Flugschule“

In der Bundesliga-Landschaft gibt es eine außergewöhnliche Talentschmiede, die ohne Frage für Qualität steht: die „Flugschule“ für Torhüter in Kaiserslautern. Seit gut 20 Jahren schafft es Gerry Ehrmann, aus hochveranlagten Schlussmännern international gefragte Torhüter zu formen.* Seit Ende der 90er bzw. Anfang der 00er-Jahre hat „Tarzan“, wie Ehrmann in der Pfalz liebevoll genannt wird, nacheinander hervorstechende Torhüter unter seine Fittiche genommen und sie der Bundesliga zur Verfügung gestellt. Roman Weidenfeller (Weltmeister), Florian Fromlowitz (…), Kevin Trapp, Tobias Sippel oder natürlich Tim Wiese (Legenden-Legende), sie alle haben das Torhüter Einmal-Eins bei Ehrmann gelernt, seine ebenfalls berüchtigten Einheiten durchlaufen und sind zu Stammtorhütern gereift. Der jüngste Ehrmann-Schützling ist Julian Pollersbeck, der seit dieser Saison den Kasten der roten Teufel sauber hält. Der 22-Jährige ist eine der wenigen Überraschungen bei den Pfälzern und steht bei vielen Bundesligisten auf dem Zettel. Unsere heutige Talentkritik verrät euch warum.

(*Böse Zungen behaupten, dass sich das Formen nicht nur auf die Fähigkeiten bezieht, sondern auch auf das Aussehen. Jeder, der die jungen Weidenfeller, Wiese und Fromlowitz neben Ehrmann hat stehen sehen, glaubt, dass der Torwarttrainer ausschließlich Söhne und Ebenbilder trainiert. Glücklicherweise haben Trapp und Co. bewiesen, dass zwar die Frisuren ähnlich bleiben, die Gel-Menge aber deutlich reduziert werden kann. Ein großer Schritt für Friseure und Torwart-Ästheten, ein herber Rückschlag für die Stylinglindustrie.

Zur Verteidigung Ehrmanns sei gesagt, dass die windschnittigen Frisuren mit Sicherheit die nötigen Zehntel in der Luft rausgeholt haben, die Spieler mit offenen Haaren á la Oliver Kahn zu KSC-Zeiten verloren haben. Wer die Kahn-Frisur nicht mehr vor Augen hat, darf jetzt googeln.)

How dare you, Uwe?!

Der Weg Pollersbecks beginnt bei Wacker Burghausen, für die er in der Jugend aktiv war. Bis zur U19 spielte er für die Bayern, ehe es ihn 2014 nach Kaiserslautern verschlug, um in Torhüterschmiede den nächsten Schritt zum Profi zu tun. Da er später als seine Vorgänger wie Tormann Trapp oder Grandios Weidenfeller in die Pfalz kam, machte er fortan nicht in der Jugend, sondern bei der 2. Mannschaft von sich reden. In insgesamt 47 Spielen seit der Saison 2014/15 hielt er stolze 16 Mal den Kasten sauber und kassierte durchschnittlich weniger als einen Treffer pro Spiel. Ein mehr als akzeptabler Wert für die Regionalliga. Besonders die Einstellung des Torhüters beeindruckte die Verantwortlichen. Denn Pollersbeck, der bis zur U16 noch Feldspieler war, hat eine beachtliche Entwicklung hingelegt, die ihm nicht überall zugetraut worden ist. Auch Ehrmann soll seine Zweifel gehabt haben, doch bescheinigt dem mittlerweile 22-Jährigen eine hervorragende Weiterentwicklung in den vergangenen drei Jahren. Eine Entwicklung, die eigentlich im Tor der Profis vorläufig seinen Höhepunkt erfahren sollte.

Der große Vorteil der Ehrmann’schen Flugschule ist schließlich, dass man eigentlich keine neuen Torhüter verpflichten muss, sondern sich bei einem der „Ehrmänner“ bedienen kann. Umso erschrockener waren Fans, Sympathisanten und Außenstehende, als der neue FCK-Sportdirektor Uwe Stöver im vergangenen Sommer auf dem Transfermarkt aktiv wurde. Denn auf den Wechsel von Marius Müller zu RB Leipzig sollte traditionell die nächste interne Lösung folgen, so der vereinsumgebende Konsens. Stattdessen kam Andre Weis vom FSV Frankfurt als designierter Stammtorhüter nach Lautern. Und dass, obwohl Talente wie der ebenfalls hochveranlagte Lennart Grill im Kader waren. Oder eben Julian Pollersbeck.

Rotes Märchen aus der Pfalz

Es folgte, was folgen musste. Mit Weis im Tor flog man zunächst aus dem Pokal, kassierte sieben Treffer in den ersten vier Spielen und stand auch noch am Tabellenende. Zur Krönung verabschiedete sich Weis dann auch noch am vierten Spieltag mit Gelb-Rot vorzeitig in die Kabine. Umstände, bei denen der Fußballgott (oder wahlweise der Heilige Gerry) seine Finger im Spiel gehabt haben muss. Auftritt Julian Pollersbeck: Zweitliga-Debüt, eine beeindruckende Serie von Erfolgserlebnissen und fortan schaute keiner der Beteiligten mehr zurück. Denn seit dem fünften Spieltag hütet der 22-Jährige den Kasten der roten Teufel und überzeugt Woche für Woche mit seinen Leistungen, die ihm mittlerweile sogar zum Debüt in der U21-Nationalmannschaft verholfen haben.

Warum Ex-Trainer Korkut (bzw. Neu-Trainer Norbert Meier) seit der Sperre Weis‘ auf Pollersbeck setzte?  In seinen ersten 13 Ligaspielen hielt er achtmal den Kasten sauber und avancierte zum, statistisch gesehen, besten Torhüter der 2. Bundesliga. Inzwischen behielt er in 28 Ligaeinsätzen insgesamt 13 Mal die weiße Weste, ein Wert, der nur von Hannovers Tschauner – bei mehr Einsätzen wohlgemerkt – in Liga Zwei überboten wird. Pollersbeck, mit einem Torhüter-Gardemaß von 1,95m ausgestattet, schafft es, einer anfänglich verunsicherten Defensive wieder Balance und Ruhe zu geben. Nur 25 Gegentreffer muss man mit dem neuen Torhüter hinnehmen, dessen Stärken mit dazu beigetragen haben, die gesamte Hintermannschaft zu stabilisieren. Denn neben seinen mentalen Fähigkeiten, sind die fußballerischen Fertigkeiten außergewöhnlich gut und ganz nach dem Gusto der Ehrmann’schen Tradition.

Mehr Ehrmann geht nicht

Seine Reflexe sind herausragend, seine Paraden spektakulär und in Eins-gegen-Eins-Situationen ist er schwer zu bezwingen. Hier macht sich das Training mit „Tarzan“ bezahlt, der in zahlreichen Übungen, die Schnellkraft der Torhüter weiterentwickelt, um ihnen einen starken Absprung zu ermöglichen. Pollersbeck schafft es außerdem, schnell abzutauchen und selbst schwierige Bälle aus dem Eck zu fischen. Trotz und dank seiner Größe. Auch die Zahlen belegen seine Fähigkeiten. Mit einer Quote von 77% abgewehrter Schüsse ist er Zweiter in dieser Kategorie, nur übertroffen von Braunschweigs Fejzic. Auch bei der Anzahl der Paraden liegt er in den Top 10 der Liga, obwohl seine Abwehrreihe deutlich weniger Schüsse auf das Tor zulässt, als ein Großteil der Ligakonkurrenz. Kommt ein Stürmer doch auf das Tor von Pollersbeck zu, zeigt er die von Ehrmann erwartete Kompromisslosigkeit im Herauslaufen. Diese Fähigkeiten, gepaart mit der Ausstrahlung des 22-Jährigen, lassen ihn nicht nur zum, fußballerischen, Ebenbild Ehrmanns werden, sondern auch zum Hoffnungsträger einer fußballverwöhnten Stadt, die endlich wieder an die alten Glanzzeiten anknüpfen will.

Seine Schwächen sind ebenfalls zügig auf den Punkt gebracht. Obwohl er mit seiner kompromisslosen Art beim Herauslaufen punkten kann, zeigt er sich beim Abfangen von Flanken noch unsicher. Durchschnittlich etwa eine abgefangene Flanke pro Spiel ist zu wenig, wenn man die Anzahl an Flanken sieht, die durch seinen Strafraum segelt. Obwohl Pollersbeck ein sehr guter Fußballer ist, der Bälle sicher verarbeiten und weiterleiten kann, sind seine langen Bälle noch zu ungenau und weisen eine hohe Streuung auf. Laut Opta kann er beispielsweise nur 45% seiner Spieleröffnungen erfolgreich gestalten, ein Wert, der nur für einen Mittelfeldplatz unter den Zweitligatorhütern reicht. Weitere Schwächen sind allenfalls seinem Alter geschuldet, etwa seine teils unbedacht erscheinenden Ausflüge, die Torwartcoach Ehrmann aber von seinen Jungs erwartet. Schließlich sind Fehler elementare Bestandteile der Weiterentwicklung.

Das Ziel muss die Bundesliga sein

Ob Pollersbeck letztlich seinen Bundesliga-Traum mit den Pfälzern wahrmachen wird, erscheint eher unrealistisch, wenn man die karge Realität der roten Teufel sieht. Ihr junger Schlussmann ist einer der leuchtenden Sterne am dunklen Zweitliga-Himmel. Dessen weitere Karriere sollte nämlich definitiv in der Bundesliga fortgesetzt werden. Die wundersame Saison des jungen Torhüters hat nicht nur das eigene Umfeld aufhorchen lassen, sondern auch zahlreiche Bundesligisten mit offenen Planstellen zwischen den Pfosten auf den Plan gerufen. Der Hamburger SV und Eintracht Frankfurt sind die beiden Vereine, denen das größte Interesse nachgesagt wird. Einmal als Nachfolger von René Adler und einmal als Zukunftsinvestition für den Fall, dass Hradecky den Verein verlassen sollte.

Auch hier reiht sich Pollersbeck also in die Reihe der Lauterner Torhüter-Tradition ein. Sie alle genossen die Flugschule, wurden zu Stammtorhütern am Betzenberg und wechselten danach zu aussichtsreicheren Bundesligisten. Weidenfeller nach Dortmund, Wiese nach Bremen, selbst Tormann Trapp wurde erst in Frankfurt zum Star, der er heute in Paris sein darf. Julian Pollersbeck ist aktuell einer der interessantesten Namen auf dem Torhüter-Markt, dessen nahe liegende Zukunft in Liga Eins liegen sollte, sofern er den nächsten Schritt machen möchte. Ganz wie seine Kaiserslauterner Torwart-Vorfahren.

Einen mitspielenden Torwart mit herausragenden Reflexen, der enorme Ruhe ausstrahlt und von Gerry Ehrmann ausgebildet wurde? Viel besser wird es in Fußball-Deutschland nicht, wenn man einen Torhüter sucht. Hamburg, Frankfurt, aber auch Mannschaften wie Bremen oder Mainz sollten sich rechtzeitig in Stellung bringen, um eines der vielversprechendsten Talente für sich gewinnen zu können. Denn einer Sache darf man sicher sein: die Flugschule um Gerry Ehrmann steht für Qualität zwischen den Pfosten.

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