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Analyse

Youth League: Hingucker unter dem Bayer-Kreuz

Man kann der UEFA einiges vorwerfen. Die Champions-League-Reform, die Vergabe der letzten Europameisterschaften, sogar das ganze Europa-League-Konstrukt kann man gut finden, muss man aber nicht. Gleiches gilt für die aktuellen oder ehemaligen Verantwortlichen, von Platini über Gianni-„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“-Infantino bis zum aktuellen UEFA-Präsidenten (10 Gummipunkte für denjenigen, der den Namen nennen kann, ohne bei Wikipedia nachzusehen). Sie mögen zwar einen undankbaren Job haben, aber sie schaffen es auch, selten eine gute Figur abzugeben.

Umso wichtiger ist es, die Errungenschaften ihrer Arbeit hervorzuheben. Dazu gehört zweifelsfrei die Youth League, in der sich die U19 Mannschaften der Champions League Teilnehmer messen können. Gleicher Modus, gleiche Gruppe, gleicher Spieltag. Profisein light. Wir wollen einen Blick auf die interessantesten Talente der diesjährigen Youth League werfen und stellen euch regelmäßig einen Spieler ausführlich vor. In dieser Woche ist es ein junger Mittelfeldspieler, der unter dem Bayer-Kreuz zum Profi heranreifen möchte: Sam Francis Schreck.

Bleibender Eindruck auf internationaler Ebene

Vor über einem Jahr konnte Bayer Leverkusen mit einem einzigen Tweet ganz Fußball-Europa in Aufruhr versetzen:

//twitter.com/bayer04fussball/status/687275411496169472

Für den allgemein-interessierten Fußball-Fan eine ähnlich spannende Nachricht wie „US Palermo feuert 723. Trainer in den letzten vier Monaten“. Clubs wie Benfica Lissabon, Real Madrid, der FC Barcelona, diverse Premier League Vereine oder auch der BVB und Bayern dürften sich jedoch sehr geärgert haben. Allesamt waren seit rund einem Jahr an Sam Schreck aus der U17 des FC St. Pauli interessiert.

Denn Schreck, Jahrgang 1999, hatte spätestens beim Algarve Cup im Frühjahr 2015 europäische Scoutingabteilungen von sich überzeugt. Beim Turniersieg der deutschen Mannschaft konnte der Spielmacher dem Turnier seinen Stempel aufdrücken und ragte aus einer guten Mannschaft heraus. Top-Vereine brachten sich in Stellung, um den Ausnahmekönner bei nächster Gelegenheit verpflichten zu können. Nachdem Schreck seine Leistungen als Kapitän der Kiez-Bubis bestätigen konnte (21 Spiele, neun Tore, sechs Vorlagen), bekam Leverkusen letztlich den Zuschlag. Den Ausschlag gab die unmittelbare Zukunftsperspektive, denn gerade hatte sich mit Julian Brandt eines der vielversprechendsten deutschen Talente in der Bundesligaelf etablieren können.

Offensivkraft sucht Vollbeschäftigung

Seit Juni spielt Schreck nun in der U19 der Leverkusener und hat sich bereits als fester Bestandteil des aktuellen Tabellen-Dritten zurechtfinden können. Seine spielerischen Vorzüge kann er dabei immer wieder unter Beweis stellen. Als Spielmacher zeichnet ihn sein Auge für Mitspieler aus, die er regelmäßig in Szene setzen kann. Dabei profitiert er zweifelsohne von seiner vorzüglichen Ballbehandlung. Ballannahme und -mitnahne sind bei ihm flüssige Bewegungen, die ihn mit seiner Schnelligkeit zu einem gefährlichen Offensivspieler werden lassen. Denn er kann nicht nur den Zulieferer spielen, sondern auch selbst Torgefahr ausstrahlen. Zu neun Treffer aus St. Pauli-Zeiten kommen aktuell wieder fünf Ligatreffer sowie einer in der Youth League und das in insgesamt 18 Einsätzen. Er bleibt aber nicht auf reine Offensivpositionen beschränkt, da er auch auf der Achter-Position eingesetzt werden kann. Dort kann er seine Passqualitäten noch besser unter Beweis stellen.

Sein größtes Manko ist seine Physis. Der 1,80m große Mittelfeldspieler bringt keine 70kg auf die Waage und wirkt eher schmächtig. In den Youth League-Auftritten seiner Mannschaft wurden diese Defizite offensichtlich, als er im Spiel gegen den Ball zu wenig entgegenzusetzen hatte. Denn bei allen technischen Qualitäten muss Schreck sowohl physisch zulegen als auch defensiv dazulernen. Er mag zwar ein hochbegabter Spieler sein, aber er ist noch nicht zum unumstrittenen Stammspieler geworden. In der aktuellen Saison bringt er es nur auf fünf Spiele über die volle Distanz. Es kommt nicht selten vor, dass er stattdessen als erstes vom Feld gehen darf. Bedenkt man allerdings, dass er erst seit einem halben Jahr in der A-Junioren Bundesliga (und zusätzlich der Youth League) spielt, kann man ihm Anpassungszeit zuschreiben.

Weg für die Zukunft scheint geebnet

In Interviews macht er darüber hinaus einen sehr abgeklärten Eindruck und zeigt sich mannschaftsorientiert und bescheiden. So hat man auch rund um den Wechsel nichts von ihm hören oder lesen können. Sein Umfeld leistet hervorragende Arbeit, ihn vor dem großen Rummel zu schützen. Das wissen Völler und Co. auch zu schätzen, denn sie halten große Stücke auf ihr Talent. Kai Havertz, der in der Hinrunde schon einige Partien in der Bundesliga bestreiten durfte, Attakan Akkaynak und eben Schreck sind die wohl größten Talente, die in der Bayer-Schmiede zu finden sind. Alle drei konnten in Trainingslagern bereits auf sich aufmerksam machen und spielen zentrale Rollen in den Überlegungen für die Zukunft.

Positionell dürfte Schreck daher auch noch nicht festgelegt sein. Aktuell wird er fast ausschließlich im zentralen offensiven Mittelfeld eingesetzt. Sowohl das zentrale Mittelfeld als auch eine Stürmerposition kommen jedoch auch in Frage, um seine Technik bzw. Torgefahr zu nutzen. Mit Blick auf die aktuellen Systeme der Leverkusener ist auch eine dauerhafte Umschulung auf eine der Außenbahnen denkbar. Das beste Beispiel für eine solche Heranführung dürfte der frisch gesperrte Hakan Calhanoglu sein. Dieser machte sich ebenfalls zuerst als Spielmacher einen Namen, als er diese Position in Karlsruhe und Hamburg ausübte, bevor er bei Bayer entweder auf dem linken Flügel oder als zweite Spitze eingesetzt wurde. Bedenkt man das Potenzial, das Schreck mitbringt, kann man sich eine ähnliche Entwicklung durchaus vorstellen.

Da sich Bayer Leverkusen bereits aus der Youth League verabschiedet hat, sechs Punkte aus sechs Spielen waren zu wenig, werden wir Schreck leider nicht mehr auf europäischer Bühne beobachten können. Wenn er jedoch im gleichen Maße Fortschritte machen kann wie bisher, dann werden wir ihn zwangsläufig auf der Bundesliga-Bühne begutachten dürfen. Seine Technik und sein hervorragender Abschluss werden ihn zu einem gefährlichen Offensivspieler machen. Seine Lernbereitschaft und sein Spielverständnis öffnen ihm alle Möglichkeiten auf dem Spielfeld. Vor allem aber hat er einen Verein gefunden, bei dem er in Ruhe Erfahrungen sammeln kann und realistische Chancen auf die erste Mannschaft hat, wie Brandt, Henrichs oder Havertz bewiesen haben. Hoffentlich dürfen wir ihn auch im nächsten Jahr in der Youth League sehen, sofern sich die Leverkusener noch in die Champions League mogeln können. Denn als Talentkritiker muss man Sam Francis Schreck einfach auf dem Schirm haben.

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