
Kaum einer Person wurden im Frühsommer 2018 so viele Schlagzeilen gewidmet wie Joachim Löw. Der Nationaltrainer wurde rund um das desaströse Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Russland zur Streitfigur, sinnbildlich für eine Stilkrise des Fußballs hierzulande. Ist Ballbesitz out? Inwiefern hätte ein Sebastian Rudy in Russland eher den Unterschied machen können als ein Leroy Sané? Einer, der sich mit solchen Fragen beschäftigen muss, ist Markus Hirte, seines Namens Leiter Talentförderung beim DFB. Wir haben den Fußballlehrer in München getroffen und ihn gefragt, wie er plant, kommende Generationen von Nationalspielern zu finden und auszubilden.

Markus Hirte (Quelle: DFB)
Hallo Markus. Zu Beginn sprechen wir über Dich als Person: Wo kommst Du ursprünglich her und was hast Du vorher gemacht?
Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen. Ich habe dort auch Fußball gespielt und war Torhüter, was man aufgrund meiner Größe nicht sofort vermuten würde. Ich habe dort auch in der Berliner Auswahl und der damals dritthöchsten Spielklasse gespielt – das war die Oberliga, bevor die Regionalliga eingeführt wurde. Ich habe aber auch immer nebenbei, seit meinem 17. Lebensjahr, neben dem Studium und neben meiner aktiven Fußballlaufbahn Jugendmannschaften trainiert und die Trainerlizenzen parallel zur Ausbildung gemacht. Nach Abschluss des zweiten Staatsexamens, ich habe Sport und Geographie studiert, habe ich mich für den Schuldienst beworben. Wie der Zufall es wollte, war auch beim Berliner Fußballverband eine Stelle als Verbands- und Jugendtrainer ausgeschrieben, sodass ich dann nicht in der Schule sondern beim Fußballverband gelandet bin. Dort war ich zuständig für die Auswahlmannschaften und habe mich somit auch da schon um die Talentförderung gekümmert. Zu jener Zeit habe ich dann Trainerausbildungen übernommen, war Co-Trainer bei U-Nationalmannschaften und bin über die Jahre Sprecher der Verbandssportlehrer geworden. Letztendlich war ich dann 12 ½ Jahre beim Verband und hatte anschließend die Möglichkeit, die Position und den Blickwinkel zu wechseln. Ich hatte ein Angebot vom Hamburger SV. Dort habe ich zunächst als U19-Trainer gearbeitet, allerdings mit der Festschreibung als Sportlicher Leiter des Leistungszentrums einzusteigen. Das war für mich eine sehr reizvolle Geschichte, weil ich so den Verband auf der einen Seite und die Lizenzvereine auf der anderen Seite kennengelernt habe. 4 ½ Jahre war ich dann beim Hamburger SV und wechselte mit dem Aufstieg von Fortuna Düsseldorf ins Rheinland. Dort war die Notwendigkeit gegeben ein Leistungszentrum zu implementieren und nachzuweisen. Das war für mich dann eine Möglichkeit, noch stärker eigene Ideen von Grund auf miteinzubringen. Bis 2016 war ich dann der Leiter des Leistungszentrums in Düsseldorf ehe ich als sportlicher Leiter der Talentförderung zum DFB gegangen bin.
Wie sieht Deine gewöhnliche Arbeitswoche aus? Gibt’s die überhaupt?
Eine gewöhnliche Arbeitswoche gibt es so nicht. Die richtet sich immer nach den Terminen und Aufgabenbereichen, die gerade relevant sind. Das geht von Besuchen der Eliteschulen, dem Austausch mit Trainern bis hin zu den Leistungszentren oder konzeptionellen Dingen der Talentförderung, wie zum Beispiel der Neustrukturierung des Qualitätsmanagements. Seit einem Jahr haben wir nun ein Onlineportal für die Stützpunkte am Laufen und bringen jetzt im September ein Serviceportal für die Leistungszentren an den Start. Auch dort habe ich an den Inhalten konzeptionell mitgewirkt. Zudem bereiten wir die Fortbildungen der Leistungszentren vor: Kontakt mit Referenten, die Auswahl der Themen oder die Organisation der Fortbildungen. Die Arbeit ist sehr vielschichtig und abwechslungsreich, sodass es keine gewöhnliche Arbeitswoche gibt und es ein permanenter und sich wiederholender Ablauf ist. Wir haben vor ein paar Wochen sogar einen Arbeitskreis, der sich mit dem Kinderfußball auseinandersetzt, ins Leben gerufen.
Wo soll für dich persönlich die Reise hingehen?
Ich mache mir darüber nie Gedanken. Ich fühle mich sehr wohl mit diesem Perspektivwechsel. Diese Arbeit hat viel mit Überzeugungskraft zu tun, da ich verschiedene Konzeptionen und Projekte zu vermitteln versuche. Erst nach einem gewissen Zeitraum wird man merken, wie gut mir das gelungen ist und ob es dann letztendlich auch die Umsetzung erfährt, die man sich für den deutschen Nachwuchsfußball wünscht. Ich fühle mich sehr wohl in dieser Aufgabe und würde derzeit gar keine anderen Ambitionen hegen. Da gibt es für mich erstmal nur die Umsetzung der Aufgaben und Projekte, die wir anschieben wollen, in der Hoffnung, dass man möglichst überzeugend ist.
Widmen wir uns Deiner Arbeit: Was versteht man unter der DFB Talentförderung?
Man muss stark differenzieren, um zu beschreiben, was alles unter dem Begriff Talentförderung zu verstehen ist. Der DFB ist der Dachverband. Die Landesverbände, Bezirke, Kreise und schließlich vor allem die Vereine sind in der Talentförderung an der Basis entscheidend. Die Aufgabe des DFB ist letztendlich eine Konzeption für die Talentförderung anzubieten und sicherzustellen, dass Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Talentförderung geschaffen werden – sowohl über diverse Wettbewerbs- als auch Anreizsysteme. Das, was der DFB direkt beeinflussen kann, sind im Wesentlichen zwei Bereiche. Die U-Nationalmannschaften, die zum einen die Leistungsfähigkeit des deutschen Fußballs in der jeweiligen Altersklasse darstellen, speziell im Vergleich zu anderen Nationen, und zum anderen auf maximal hohem Niveau Erfahrungswerte vermitteln. Der zweite Bereich ist das Talentförderprogramm, in dem der DFB einen direkten Einfluss auf die Gestaltung der Trainingsinhalte und die Ausrichtung der Talentförderung hat. Die anderen Bereiche sind alle eher mittelbar. Zum Beispiel schaffen wir gemeinsam mit der DFL Rahmenbedingungen in den Leistungszentren: So werden die für ein Leistungszentrum zu erfüllenden Kriterien festgelegt, in einer Zertifizierung werden Qualitätsstandards überprüft, wir organisieren Fortbildungen für alle Bereiche: Trainer, TW-Trainer, Athletiktrainer, Pädagogen, Videoanalysten usw. Dort ist es zentral, Impulse zu setzten, die im Sinne der Ausrichtung des DFB sind. Dazu gehören dann auch die Eliteschulen des Fußballs, die immer in Kooperation mit den Leistungszentren agieren und die Landesverbände, die ein hohes Maß an Eigenständigkeit haben. Auch dort ist es wichtig, über Rahmenbedingungen für die Trainerausbildung, Fortbildungen, Verbandssportlehrerseminare, Bezuschussungen und dem Transport von Konzeptionen Einfluss auf die Förderungen zu nehmen.
Daran angeknüpft: Wie ist das Verhältnis zwischen den Leistungszenten und den Eliteschulen?
Eine Eliteschule hat immer ein Leistungszentrum zum Partner. Jedoch kann es vorkommen, dass in einem Verbundsystem mehrere Schulen mit einem Leistungszentrum zusammenwirken. Dies ist der Fall, wenn zum Beispiel sowohl ein Gymnasium, eine Real- und eine Berufsschule zur Verfügung stehen, welche dann gesamtheitlich als Eliteschule anerkannt werden. Allerdings gibt es auch Leistungszentren, die nicht unbedingt eine Verbindung mit einer Eliteschule haben. Verpflichtend ist aber immer eine Schulkooperation, jedoch nicht zwingend mit einer Eliteschule. Beide Parteien sollen zusammenwirken und sicherstellen, dass auf einem extrem hohem Niveau Leistungssport und schulische Ausbildung gewährleistet werden. Das Leistungszentrum ist für die fußballerische Ausbildung innerhalb der Kooperation verantwortlich. Das bedeutet, dass die Trainer der Leistungszentren in den Schulen vertreten sind. Wichtig ist auch die ständige Kommunikation zwischen Schule und Leistungszentrum über den pädagogischen Leiter des Leistungszentrums.
Wann lässt sich der Startschuss des Talentförderprogramms verorten und warum wurde genau zu jenem Zeitpunkt das Projekt realisiert?
Der Ursprung des Projektes lässt sich sehr genau verorten. Die Vorstufe, das vorläufige Talentförderprogramm, ging 1999 an den Start. Ab 2001 begann dann das eigentliche, beziehungsweise erweiterte Programm. Die Realisation des Projektes hat vor allem historische Gründe. 1995 veränderte das Bosman-Urteil den Fußball. Dies hat verstärkt dazu geführt, dass Ausländer in der Bundesliga vertreten waren. Zusätzlich war die Konsequenz, dass die Fußballförderung nicht mehr den gleichen Stellenwert innerhalb der Bundesligavereine genoss. Früher waren über die Ablösesummen garantiert, dass ein Verein für einen Spieler den sie ausgebildet hat, wieder Gelder generieren konnte. Mit dem Bosman-Urteil sind diese Ablösesummen teilweise weggefallen, weil nach dem Vertragsende jeder Spieler ablösefrei war. So waren eine Menge Spieler auf dem Transfermarkt, für die die Vereine keine Ablöse bezahlen mussten. Das führte dazu, dass viele ausländische Spieler in die Bundesliga kamen und die Nachwuchsspieler nicht mehr ausreichend Spielpraxis erhielten. Deshalb musste sich der DFB etwas einfallen lassen, um die Talentförderung trotzdem hochwertig und nachhaltig zu gestalten. Dazu kamen die schlechten Ergebnisse der Nationalmannschaft bei der WM 1998 und der desaströsen EM im Jahr 2000, sodass ein Bewusstsein wuchs, dem Negativtrend entgegenzuwirken. Von diesem Punkt aus wurden zwei Maßnahmen aktiviert: Zum einen die Entwicklung des Talentförderprogramms für die Altersstufen von der U12 bis zur U15 und zum anderen seit 2002 die Verpflichtung für die Lizenzvereine, Leistungszentren zu unterhalten. Das waren die beiden wesentlichen Akzente, die damals gesetzt werden konnten.
Welche Ziele verfolgt Ihr konkret mit dem Programm?
Mit diesem Programm soll eine flächendeckende Sichtung und Förderung möglichst aller talentierten Spieler gewährleistet werden, damit kein Talent unentdeckt bleibt. Es ist zentral, dass die Verantwortlichen darauf achten, dass auch im hintersten Winkel der Bundesrepublik junge Kicker gesichtet werden. Darüber hinaus ist es wichtig, den Spielern, solange sie in einem Amateurverein spielen, eine zusätzliche Trainingseinheit zu ermöglichen, die darüber hinaus auch eine individuelle Ausrichtung gewährleistet. Dabei soll nicht der mannschaftliche Erfolg oder das Funktionieren eines Teams in den Vordergrund gestellt werden, sondern die persönliche Entwicklung.
Das Talentförderprogramm im Gewand der Stützpunkte sichtet in der U12. Wie geht man mit Spätentwicklern um?
Es ist nicht so, dass mit der Eingangssichtung in der U11 die Sichtungen eingestellt werden. Das ist ein permanenter Prozess. Die Stützpunkttrainer sind in der Pflicht, ständig nachzusichten und zu schauen, wer sich in den Vereinen weiterentwickelt. Das geht bis einschließlich der U15. Danach wird die Sichtung idealerweise von den Landesverbänden weitergeführt, die auch die Landesauswahlen zusammenstellen. Die Zusammenarbeit zwischen den Stützpunktkoordinatoren und den Landesverbänden muss sehr eng sein. Die Koordinatoren haben zudem auch Aufgaben in den Verbänden als Referenten in der Trainerausbildung. In der Talentförderung definieren wir vier Kernbereiche: Die U-Nationalmannschaften, Leistungszentren, das Talentförderprogramm mit den Eliteschulen des Fußballs und die Landesverbände. In dieser Breite hat jeder auch Schwerpunktaufgaben.
Wie Du bereits erwähnt hast, unterteilt sich die DFB-Talentförderung in drei Institutionen plus der Beteiligung der Eliteschulen. Wie definiert ihr deren individuelle Schwerpunkte?
In den Leistungszentren ist das mit Sicherheit die Förderung der aktuellen Leistungsspitze. Das Talentförderprogramm soll die Breite an Talenten erfassen und abdecken. Genau jene Talente, die sich noch in der Entwicklung und noch nicht in einem Leistungszentrum befinden, beziehungsweise jene, die aus einem Leistungszentrum wieder ausgeschieden sind und aufgefangen werden müssen. Die Verbände sind mit den Verbandsauswahlen idealerweise das Bindeglied zwischen dem DFB und den Leistungszentren. Darüber hinaus verfolgen sie die Talente weiter, nachdem sie aus dem Talentförderprogramm ausgeschieden sind. Demnach ist die Vielfalt dieser Institutionen eine absolute Stärke des deutschen Nachwuchsfußballs. Es gibt nicht den einen Weg, um vom Kind zum Profi zu werden. Es gibt viele Möglichkeiten, viele unterschiedliche Karriereverläufe.
Wie verläuft die Kommunikation zwischen den vier Kernbereichen?
Ich hatte ja schon erwähnt, dass es Kernaufgaben gibt, die auch wahrgenommen werden müssen und für die es ein gegenseitiges Verständnis sowie Akzeptanz geben muss. Daraus ergeben sich Schnittstellen. Zwischen dem Talentförderprogramm und den Leistungszentren sind sehr viele Spieler, die aus den Stützpunkten in die Spitzenvereine wechseln. Darüber hinaus geht es darum, den Spielern, die den Sprung nicht schaffen, den Anschluss zu ermöglichen. Auch in den Verbänden geht es um die Talentsichtung und -förderung. Sie führen die besten Spieler der LZ und Stützpunkte in den Verbandsauswahlen zusammen und bereiten sie auf die Sichtungsturniere des DFB vor. Diese Sichtungsturniere sind wesentlich für die Zusammenstellung der U-Nationalmannschaften. Nach dem Talentförderprogramm gilt ihr Augenmerk vor allem der Förderung der Spätentwickler. Hier gibt es natürlich Schnittmengen mit Spielern der Leistungszentren. Wichtig ist dabei einige Fragen gemeinschaftlich zu klären: Welche Spieler gehören in die Auswahl? Wie häufig sind die Spieler abzustellen? Und vor allem: Was ist in der jeweiligen Situation das Beste für den Spieler? Diese Themen machen eine intensive Kommunikation enorm wichtig. Es ist notwendig, dass man ein hohes Verständnis für den jeweils anderen hat und dessen Funktionen. Natürlich entsteht auch Reibung zwischen den Bereichen. Dabei spielen viele persönliche Aspekte eine Rolle: Wie wichtig nehme ich mich in bestimmten Situationen? Wie akzeptiere ich mein Gegenüber? Das geht nicht ohne Reibungsverluste. Dennoch ist die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis ein wichtiger Faktor, um den Talenten gerecht zu werden. Das Talent muss im Mittelpunkt stehen, und wir müssen alles dafür tun, die Voraussetzungen zu schaffen, sich bestmöglich zu entwickeln.
Das Schulzentrum Sonnenhügel ist eine DFB-Eliteschule des Fußballs in Niedersachsen.
Sie bietet jungen Fußballern die Möglichkeit Bildung und sportliche Karriere zu kombinieren
Wo siehst Du die größten Herausforderungen in der Talentförderung?
Entscheidend war, dass wir nach der Jahrtausendwende die Notwendigkeit erkannt haben, dass wir uns fußballerisch entwickeln müssen. Damals bezeichneten die Zeitungen unser Spiel als „Rumpelfußball“. Es war wichtig zu sehen, dass man den einzelnen Fußballer besser machen muss, um dann im Seniorenbereich die besseren Spieler zu einer besseren Mannschaft zusammenzufügen. Die individuelle Qualität wurde zur Basis. Inzwischen erleben wir meiner Ansicht nach wieder eine Umkehr dessen und eine Zeit, in der man die Zusammenstellung der Mannschaft schon deutlich früher im Fokus hat und die Orientierung von der Individualität wieder in Richtung Mannschaft gegangen ist. Das liegt ganz eindeutig an einer stärkeren Ergebnisorientierung. Man versucht die effektivsten Spieler als Mannschaft zusammenzustellen. Dabei bleiben dann Spätentwickler ganz häufig auf der Strecke, oder haben nicht die optimalen Entwicklungsmöglichkeiten. Das führt auch dazu, dass bestimmte Faktoren zu kurz kommen, weil eine Fehlervermeidung in den Vordergrund rückt, anstatt in einem altersgerechten Umfeld gewisse Fehler zu akzeptieren und vielleicht sogar in Kauf zu nehmen, um die Talente aus diesen Fehlern lernen zu lassen. Wenn ich zum Beispiel einen systematischen Spielaufbau erreichen will, ein riskantes Dribbling forcieren lasse und individuelle Qualitäten fördern möchte, muss ich auch in Kauf nehmen, dass Fehler passieren, die negative Konsequenzen haben. Das ist mit einer Fehlervermeidungsstrategie nicht zu erreichen. Darüber generiere ich möglicherweise kurzfristige Erfolge, weil ich die effektivste Spielweise und die effektivsten Spieler zusammenstelle, was jedoch nicht unbedingt eine Förderung der Talententwicklung bedingt. Das ist etwas, dass wir meiner Ansicht nach unbedingt wieder umkehren müssen.
Wie stehst Du zur zunehmenden Profilierung junger Trainer?
Mittlerweile ist es Fakt, dass es viele hauptamtliche Stellen im Fußball gibt und das natürlich viele junge Trainer diese Stellen besetzen, die sich dafür auch profilieren müssen. Das geht in der Regel über die Ergebnisse. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir starke sportliche Leiter in den Leistungszentren, aber auch ein Verständnis des Vorstands und der Öffentlichkeit, dass die Entwicklung nicht immer mit kurzfristigen Erfolgen zu erreichen ist und Geduld ein wichtiger Faktor ist.
Wie stehst Du dem immensen Druck durch die zunehmende Professionalisierung im Jugendbereich gegenüber?
Geld spielt eine immer größere Rolle. Gott sei Dank haben wir heutzutage sehr viele hauptamtliche Mitarbeiter und eine gute Infrastruktur. Allerdings führt der Wettbewerb um die Talente dazu, dass inzwischen auch Gehälter im Nachwuchsbereich gezahlt werden. Diese Gelder ermöglichen es den Jugendlichen, teilweise ihre Familien zu ernähren. Dieser Kampf um die Toptalente nimmt Ausmaße an, die auch für das Selbstbild der Spieler bedenklich sind. Wenn ich so früh auf ein so hohes Podest gehoben werde, auch über Ausrüsterverträge für 13- und 14-Jährige, dann habe ich ein Selbstbild, das vielleicht schwierig mit ausbleibenden persönlichen Erfolg zu vereinbaren ist und ich zwei Schritte zurück machen muss. Widerstände zu überwinden, noch mehr an mir zu arbeiten, passt dann oft nicht mehr in das erworbene Selbstverständnis. Auch das ist eine Herausforderung, die auf uns zukommt, um nicht zu viele Toptalente zu verlieren, weil sie irgendwann nicht mehr in der Lage sind, mit diesem Druck umzugehen.
Wie mündig muss Deiner Ansicht nach ein Talent sein, um mit dem Druck während seiner Entwicklung umgehen zu können?
Grundsätzlich braucht es ein gutes Umfeld, das ihn letztendlich immer wieder erdet. Auch dies wird zunehmend schwieriger, da es immer mehr Interessengruppen gibt, die mit dem Talent verbunden sind. Neben den Eltern sind dies Trainer, Spezialisten, Pädagogen, Psychologen, Vereinsverantwortliche, Berater, Sponsoren u.a.m. Diese nehmen selbstverständlich Einfluss auf die Jugendlichen, wollen grundsätzlich das Beste für den Jungen, schauen aber auch, wie sie ihre eigenen Mehrwerte generieren können. Das komplette Umfeld legt oft zu viel Augenmerk auf den Erfolg und das Geld. Da fällt es den Talenten häufig schwer, das richtig einordnen. Chancen zu sehen, aber auch die Gefahren richtig einschätzen, das wäre wichtig. Ebenfalls eine andere Entwicklung: Junge Spieler haben heutzutage äußerst durchgetaktete Abläufe. Eigene Erfahrungen sammeln und eigene Entscheidungen treffen, gerät immer mehr ins Hintertreffen. Im Normalfall ist der Tag von 6.30 Uhr bis 23.00 Uhr gefüllt, mit Abläufen die fast schon automatisiert sind. Damit werden eigene Erfahrungen immer weniger, weil viele Entscheidungen abgenommen werden. Die Erwartung, dass ein Spieler dann auf und neben dem Platz eigenverantwortliche Entscheidungen trifft und sich persönlich weiterentwickelt, ist in diesem Zusammenhang sehr viel verlangt.
Sprechen wir über spielerische Ansätze: konservativer vs. progressiver Ansatz – Vereinsteam vs. Auswahlteam. Wie beurteilst Du taktisch-philosophische Widersprüche?
Das wichtigste ist, dass ich auf einer altersgerechten und leistungsgerechten Ebene Dinge entwickeln kann. Das hat nichts mit progressiv oder konservativ zu tun, sondern damit, was ein Kind kann und was es will und braucht für seine Entwicklung. Wir hatten gerade über Entscheidungen gesprochen und wie wichtig eben auch die Rahmenbedingungen sind, damit ein Talent im Spiel selbstständig Entscheidungen treffen kann. Auch mit der Gefahr, vielleicht mal einen Fehler zu machen. Das ist der Rahmen, der gegeben sein muss. Es muss dem Einzelnen gestattet sein, auf seinem Niveau und in seiner Altersstufe die optimalen Förderbedingungen zu haben. Dazu sind ein paar Dinge absolut notwendig. Dass ich mit dem Ball agiere, dass ich lerne wie ich den Ballbesitz sichere, technische Fertigkeiten, ein sauberes Passspiel und alles in einem ordentlichen Tempo. Aber auch eine Ausbildung im taktischen Rahmen: Freilaufverhalten, in welche Räume man sich bewegen muss. All das hat etwas damit zu tun, dass ich Entscheidungen treffen und ich mich technisch adäquat bewegen kann. Das sind die entscheidenden Dinge, die relativ wenig mit einer konservativen oder modernen Spielkonzeption zu tun haben. Was nicht sein darf, sind Spielkonzeptionen, die bloß auf das Reagieren ausgerichtet sind und auf Fehlervermeidungsstrategien beruhen. Diese dienen sicherlich nicht einer optimalen Entwicklung von talentierten Fußballspielern.
Es lässt sich eine zunehmende Konzentration in Ballungszentren wie München, Leipzig oder Dortmund feststellen. Wo liegen hier die Herausforderungen oder gar Gefahren, um Talenten eine ideale Ausbildung zu ermöglichen?
Wünschenswert wäre es, wenn sich die Talente deutschlandweit über die Leistungszentren verteilen würden. Allerdings ist das nicht realisierbar. Es gibt keine dirigistischen Maßnahmen, um jemanden irgendwo hin zu setzen. Fußball ist eben auch ein Markt, und die Marktmechanismen greifen leider immer weiter in den Jugendbereich hinein. Es geht um die besten Talente, mit denen später Geld verdient werden soll. Nicht nur über Freigaberegelungen sondern auch über den sportlichen Erfolg in den Profimannschaften. Ziel ist, diese Spieler so früh wie möglich zu sichern, weil sie dann noch kein Geld kosten und eventuell später einen Überschuss produzieren, wenn sie als Profis durchstarten. Das wird vor allem über die großen Vereine angeheizt. Deren Bestreben ist zu jedem Zeitpunkt die besten Spieler aus Deutschland bei sich im Verein zu haben und ab der U16 sogar zunehmend international nach Spielern zu sichten, die später sportliche und finanzielle Erfolge bringen. Damit umzugehen ist eine riesen Herausforderung für das Umfeld. Das sind genau die Mechanismen, die dazu führen, dass 14-jährige fast ihre Familie ernähren können. Dass ein riesen Hype um ihre Entwicklung gemacht wird, obwohl diese noch nicht abschließend vorherzusagen ist. Denn andere Spieler können aufholen oder sie überholen. Damit umzugehen, dass der momentane Erfolg ausbleibt, ist die Herausforderung. Es fallen immer einige Spieler durchs Raster, die sich vielleicht anderswo besser entwickelt hätten. Sie aufzufangen und darauf vorzubereiten, dass es weitergeht, ist eine schwierige Aufgabe.
Gibt der DFB eine einheitliche Spielphilosophie vor, oder genießen die Vereine hier Handlungsfreiheit?
Es gibt das sportliche Leitbild des DFB „Unser Weg“, das hoffentlich inzwischen überall bekannt ist. Es handelt sich um Leitgedanken und beantwortet die Frage: „Was wollen wir auf dem Fußballplatz sehen?“. Das geht mit allgemeinen Prinzipien los, wie „Wir wollen den Ball“, „Wir sind jederzeit aktiv“ oder „Wir suchen und gewinnen jedes persönliche Duell“. Es geht weiter in offensiven und defensiven Leitlinien. Wir geben nur übergeordnete Funktion vor. In der Offensive zum Beispiel „Räume im Rücken des Gegners erkennen und nutzen“. Defensiv genau dasselbe. Wir stellen uns immer die Frage nach dem übergeordneten Ziel. Darunter folgt dann die Spielkonzeption, die dann genau sagt, wie wir Dinge erreichen wollen. Über ein schnelles Kurzpassspiel, indem ich von hinten heraus über sichere Ballstafetten immer wieder in den Rücken des nächsten Gegenspielers komme, über Spielverlagerungen und diagonale Bälle hinter die Abwehrkette oder tiefe Pässe in die Spitze samt einer Staffelung dahinter. Die konzeptionellen Inhalte sind von Trainer zu Trainer oder von Verein zu Verein zu füllen. Was wir wollen, ist einen gedanklichen Rahmen schaffen, der einen attraktiven, aber auch zielgerichteten und für den Nachwuchsbereich entwicklungsfördernden Fußball gewährleistet. Darauf sind diese Leitlinien ausgerichtet. Dieser Rahmen, den der DFB vorgibt, soll von der Kreisliga bis hin zur Nationalmannschaft wirken aber auch vom Kinder- und Jugendfußball bis hin zu den Senioren. Als Basis des Ganzen gelten die deutschen Tugenden 2.0, die als Charaktereigenschaften genau die Umsetzung befähigen sollen.
Stichpunkt flächendeckende Sichtung nochmals aufgegriffen: Wie gewährleisten die Landesverbände, dass auch Talente, die sich alterstechnisch außerhalb des Talentförderprogramms bewegen bzw. in den hintersten Ecken der Republik kicken, erfasst werden?
Die Flächendeckung der Stützpunkte ist ein wesentlicher Faktor. Wir haben 366 Stützpunkte über ganz Deutschland verteilt, sodass im Prinzip jeder Verein einem Stützpunkttrainer zugeordnet ist. Über 1.300 Stützpunkttrainer haben die Aufgabe, unsere Talente zu sichten. Dazu kommt die Talentmeldung, auf die man sich aber nicht vollständig verlassen darf. Durch diese Systematik werden talentierte Spieler in den Stützpunkt eingeladen. Die Stützpunkte untereinander haben Vergleichsspiele und Sichtungsturniere. Hier kommen am Ende der U 13 beziehungsweise am Anfang der U 14 noch Verbandsauswahlen hinzu, in denen die Spieler der Stützpunkte dazustoßen. So kann man sich das stufenförmig vorstellen und als permanenten Prozess verstehen, der nicht einmal durchläuft, sondern praktisch in einer Endlosschleife wiederholt wird. Sich neu entwickelnde Spieler sollen dann mit in diesen Kreislauf aufgenommen werden.
Mit den Spätentwicklern hast Du das Altersshaming bzw. den Relativ-Age-Effect schon angesprochen. Das Argument Effektivität von Spielern mal herangezogen: bis zu welchem Grad ist im Hinblick auf die Effektivität ein früher Geburtsmonat sogar dienlich?
Hier sprechen wir von effektiven Spielern im Sinne des Erfolges. Natürlich ist ein Spieler, der körperlich bevorteilt ist, der muskulär weiter entwickelt und größer ist, enorm im Vorteil – häufig auch in der Schnelligkeit im U 13-, U 14-oder U 15-Bereich. Die Jungs haben Vorteile im Zweikampfverhalten sowie Vorteile in der Schuss- und Passstärke. Alles Faktoren, die sie auffällig machen. Da ist zunächst überhaupt nichts Negatives dabei. Aber es ist noch lange keine Garantie dafür, dass wenn die Spätentwickler diesen Reifegrad erreicht haben, dies noch genauso ist. Wenn er sich nicht weiterentwickelt hat – technisch, taktisch oder von der Beweglichkeit und Gewandtheit her, wird er leicht von Spätentwicklern überholt. Bei der Vielzahl der Faktoren, die im Fußball wichtig sind, ist eine Prognose enorm schwer. Wer wird nachher mit 17 oder 18 Jahren die besten Bedingungen haben? Wir können nicht so weit in die Zukunft schauen, um zu sagen, ob der im Dezember geborene Spätentwickler mit 17 das Niveau hat, wie der akzellerierte Jugendliche, der das gleiche Niveau schon mit 14 oder 15 erreicht hat. Das ist die Herausforderung. Wir müssen Kriterien festlegen, die nicht nur auf aktueller Effektivität beruhen, sondern grundlegend für eine fußballerische Entwicklung sind. So schaut man, welche motorischen sowie koordinativen Fähigkeiten er hat, wie er sich bewegt, aber auch welche Spielintelligenz er mitbringt. Erkennt er Situationen? Orientiert er sich gut? Hat er vielleicht Lösungen, die er nur derzeit noch nicht umsetzen kann, weil ihm die Dynamik oder Kraft fehlt? Setzt er seinen Körper geschickt ein, kommt aber damit noch nicht durch, weil er eben wirklich erst 25 Kilo auf den Knochen hat? Hinter diese Fassade der aktuellen Effektivität zu blicken, ist die Herausforderung, die bei der Sichtung von Spätentwicklern entscheidend ist. Das ist etwas, worin wir unsere Trainer in den Stützpunkten schulen müssen, damit sie identifizieren können, welche Qualitäten das sind. Es ist auch ein ganz wesentlicher Aspekt, um die Aufgabenverteilung zwischen Leistungszentren, Talentförderprogramm und den Verbänden zu gewährleisten. Es ist entscheidend, die Wege der Talentförderung so lange wie möglich offen zu halten, um genau die einzufangen, die etwas später ihre Entwicklung nehmen.
Von den 54 Leistungszentren sind 29 mit 3* ausgezeichnet. Wer zertifiziert sie?
Grundsätzlich gibt es für alle Bereiche Qualitätskriterien. Auch für das Talentförderprogramm, was sowohl die Ausstattung der Trainingsstätten angeht, als auch die Qualifikation der Trainer. Für die Eliteschulen gibt es Qualitätsmerkmale, dementsprechend gibt es auch welche für die Leistungszentren. Für die Leistungszentren in zweierlei Hinsicht: zum einen ist die Eingangsvoraussetzung, um als Leistungszentrum anerkannt zu werden, für jeden Bundes- und Zweitligisten verpflichtend. Hier sprechen wir von Lizensierungsvoraussetzungen. Andernfalls kann man nicht als Lizenzverein agieren. Auf Basis dessen wurden 2007 erweiterte Maßnahmen ergriffen, die den Qualitätswettbewerb zwischen den Leistungszentren weiter fördern sollen und auch einen Anreiz geben, seine Qualität nach außen darstellen zu können. Dafür gibt es einen großen Katalog an Komponenten, die inhaltlich aufgeführt sind und über ein externes Unternehmen namens Double Pass umgesetzt werden. Extern deswegen, weil der Blick von außen erhalten bleiben soll und weder DFL noch DFB bei ihren eigenen Vereinen als Gutachter auftreten wollen. Die Qualitätskriterien sind damals zusammen erarbeitet worden, zwischen den Leitern der Leistungszenten, Double Pass, die damit in andern Ländern schon Erfahrung gesammelt hatten und weiteren Verantwortlichen. Hier entstand ein Arbeitskreis, der diese Zertifizierung und Qualitätsmerkmale definiert hat.
Wie hat sich diese Zertifizierung entwickelt? Verzeichnet ihr eine positive Auswirkung auf die Talentförderung in den Leistungszentren?

Zertifizierungs-Kriterien für deutsche Leistungszentren (Quelle: dfb.de)
Die Zertifizierung ist auch immer ein Anreiz. Zum anderen bekommt man auch ein Feedback darüber, was die nächsten Schritte sind. All das hat die die Qualität der Leistungszentren enorm gefördert. Deswegen auch jetzt die Vielzahl an 3-Sterne-Kategorien. Das ist sicher ein Ergebnis der Entwicklung und des Anspruchs geschuldet, immer besser zu werden und auch des Bewusstseins, konkurrenzfähig zu bleiben. Das ist schon ein Erfolg dieser Zertifizierung. Sie erfolgt alle drei Jahre. Wir befinden uns derzeit im vierten Turnus. Inzwischen sehen die Leistungszentren nicht mehr den Mehrwert im Verhältnis zum wiederkehrenden hohen Aufwand bei der Durchführung der Zertifizierung. Zudem ist das für den deutschen Fußball konzipierte Konzept der Zertifizierung mit diesen Qualitätsmerkmalen kein Alleinstellungsmerkmal mehr im internationalen Vergleich. Alles was gut ist, wird auch kopiert. In vielen Ländern dieser Erde ist diese Zertifizierung auch kopiert worden, egal ob in England, Japan oder den USA. Sie ist jetzt weltweit zu finden. Unser Bestreben muss es sein, ein Qualitätsmanagement zu haben, das jetzt wieder neue Akzente setzt. Da sind wir gerade dabei. Die Zertifizierung wird in dieser Form jetzt zum letzten Mal durchgeführt. Danach wird es eine neue Form des Qualitätsmanagements geben, das auf verschiedenen Säulen ruht. Die noch aktuelle Zertifizierung hat sich auch über jeden Durchgang weiterentwickelt. Am Anfang war die Dokumentation dessen, was Leistungszentren überhaupt machen, der Kern der Zertifizierung. In den nächsten Durchgängen war es mehr die Implementierung und Überprüfung dessen, was aufs Papier gebracht wurde. Was ist tatsächlich umgesetzt worden? Wie ist die Durchlässigkeit? Wie viele Spieler landen im Kader? Auch Einsatzzeiten wurden als Kriterium aufgenommen. In der letzten Stufe haben Prozessabläufe und Managementprozesse im Mittelpunkt gestanden. Was kann ich mit Prozessen im Verein bewirken: Trainerfortbildung, Vereinsmanagement und dergleichen. Diese Weiterentwicklung der Anforderungen innerhalb der Zertifizierungsdurchgänge hat zu einem hohen Standard geführt. Wir müssen jetzt schauen, wie man den unterschiedlichen Strukturen der verschiedenen Leistungszenten noch besser gerecht wird. Das wird ein Kernpunkt des neuen Qualitätsmanagements sein. Es wird eine genaue Ausrichtung geben, die den unterschiedlichen Leistungszentren in ihrer Art, aber auch in ihrem Stand, behilflich sein soll. Ein Support auf dem Niveau, auf dem ein Leistungszentrum gerade eben ist. Da wird auch Consulting ein wesentlicher Teil eines neuen Qualitätsmanagements sein, um individuell den einzelnen Leistungszentren Hinweise und Ratschläge zur Verbesserung geben zu können. Es wird andere Bereiche geben, wie zum Beispiel Benchmark-Analysen, um zu sehen, wo man als Leistungszentrum steht. Da gibt es eine ganze Menge an Faktoren, bei denen wir gerade dabei sind, sie zusammenzustellen. Die wir dann als kompaktes Qualitätsmanagement weiterführen wollen. Von daher ist da über Zeiträume noch nichts gesagt.
Sprechen wir über die Zukunft: Im Jahr 2020 soll die DFB Akademie mit Leben gefüllt werden. Welche Schwerpunkte werden hier definiert und welche Ziele verfolgt?
Zunächst ist wichtig, dass die DFB-Akademie nicht lediglich ein Bau ist und wir den Geist der Akademie bereits heute leben! Sie ist der fußballwissenschaftliche Überbau, wenn man das so eigenartig formulieren will. Das Ziel ist, alle Entwicklungen, die für den Fußball relevant sind und sein könnten zu überprüfen und ggf. auf die Praxis zu übertragen. Was kann sich zum Beispiel in der Leistungsdiagnostik entwickeln? Alles, was auf einer wissenschaftlichen Ebene konzipiert wird, soll für den Fußball auf realistische Anwendung überprüft werden. Umgekehrt sollen viele Fragen geklärt werden, wie zum Beispiel, welchen Entwicklungen wir gegenüberstehen. Allerdings möchten wir auch schauen, was zu gewissen Fragen schon in der Wissenschaft vorhanden ist. Gibt es Dinge, die wir in Auftrag geben können, oder sogar selbst in die Hand nehmen können in der Akademie, in Zusammenarbeit mit Universitäten, mit sportwissenschaftlichen Instituten und dergleichen? Dieses Wissen möchten wir generieren und wieder verteilen.
So haben wir bereits einige Projekte gestartet: ob wir mit P3 eine neue Leistungsdiagnostik, die auf dem amerikanischen Markt überaus erfolgreich ist, getestet haben, wir einen internationalen Spielanalysekongress durchgeführt haben, mit Vereinen Projekte zum Thema „Wahrnehmungs- und Entscheidungsfähigkeit“ initiiert haben oder aber mit wissenschaftlichen Institutionen und Phd-Studierenden Fragen zur Verletzungsprophylaxe erörtern. Und ganz wichtig ist auch, dass der Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung zur Akademie gehört, in dem nicht erst seit der Kritik von außen vieles auf den Prüfstand gestellt wurde und bereits einige Neuerungen eingeführt wurden!
Zum Abschluss eine kleine Zeitreise: Wie hat sich die Nachwuchsförderung in den letzten 10 – 20 Jahren entwickelt, und wo wird sie sich in der Zukunft hin entwickeln?
Fußball ist immer ein relativ gutes Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung. Wir dürfen nicht vergessen, dass Fußball ein Spiel ist. Und ein Spiel hat einen Selbstzweck. In der aktuellen Entwicklung geht leider der Spaß verloren. Die Sichtweise unserer Gesellschaft geht immer mehr dahin, dass alles einen Zweck erfüllen muss. Ich spiele Fußball, um meinen Eltern zu gefallen, um in meiner Klasse Anerkennung zu finden oder, um vielleicht eines Tages viel Geld zu verdienen. Damit geht diese Faszination vom Fußball ein Stück weit verloren. Wenn der Fußball nur noch ein Mittel ist, um einen Zweck zu erfüllen, dann habe ich eine hohe Drop-out-Problematik in dem Moment, in dem ich diesen Zweck nicht mehr erreichen kann, oder mir der Fußball nicht mehr genug bietet. Das ist etwas, das ich schon ganz stark in den jüngsten Jahrgängen beobachte, wenn Eltern ihren Kindern sagen, dass sie nicht gut genug sind, weil sie nicht von Beginn an spielen. Ohne Rücksicht auf die Wünsche der Kinder suchen sie prompt eine andere Beschäftigung, in der das Kind vermeintlich besser abschneidet. Dieser eigentliche Zweck eines Spiels, nämlich keinen Zweck erfüllen zu müssen sondern sich nur durch Spaß an der Bewerbung und Freude am Spiel zu begründen, das ist etwas, dass wir vermehrt in den Mittelpunkt stellen müssen. Das ist die Basis, auf die wir achten müssen, um möglichst viele Kinder und Jugendliche auf ihr maximales Niveau zu bringen. Wenn uns das gelingt, dann brauchen wir uns über talentierte Spieler für die Bundesliga und die Nationalmannschaft wenig Sorgen machen.
Wie stark spielt die fortschreitende Monetarisierung und Globalisierung dabei eine Rolle?
Sie fördert den Mittel zum Zweck. Sie weckt Erwartungen, und man sieht, dass sehr viele den Traum haben, mit Fußball sehr weit zu kommen. Dabei sollte der Spieltrieb aus dem Innersten herauskommen und nicht aus dem fehlgeleiteten Antrieb der Eltern. Diese Perspektive ist auf der einen Seite ein Segen, weil sie Vorbilder hervorbringt und eine Zielsetzung hat. Auf der anderen Seite aber auch ein Fluch, weil alles sehr kurzfristig darauf ausgerichtet ist und die Basis im Spiel als solches verloren geht. Das ist meiner Meinung der Nachteil dieser Entwicklung.
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Michi Käser arbeitet als Head of Content für Borussia Mönchengladbach ESports. Der 27-jährige Sportmanagement-Student an der IST-Hochschule war in der Vergangenheit bereits als Praktikant bei EA Sports und dem FC Bayern München tätig. Folgen Sie dem großen Fan vom FC Barcelona und der Lehre von Johan Cruyff bei Twitter unter @MichaelK_93
