Wir schreiben das Jahr 2008. Georg Koch, ehemals Bundesligatorhüter für Arminia Bielefeld, den 1.FC Kaiserslautern sowie den MSV Duisburg und zu jenem Zeitpunkt Keeper von Rapid Wien, wird im Wiener Derby aus dem Austria Block mit einem Feuerwerkskörper beworfen. Diagnose: Gehörtrauma und Kreislaufzusammenbruch. Die Partie steht kurz vor dem Abbruch. Koch wird ausgewechselt. Rapid Kapitän Steffen Hofmann (ehemals 1860 München) entscheidet sich, trotz der Verletzung Kochs die Zähne zusammenzubeißen und das Spiel auf dem Platz und eben nicht am Schreibtisch zu entscheiden. Am Ende heißt es 3:0 für Rapid – eben jener Entstand, der auch bei Spielabbruch gewertet worden wäre. Auch Oktober 2016 kommt es rund um die wohl brisanteste fußballerische Auseinandersetzung Österreichs wieder zu Ausschreitungen – 388 Anzeigen nimmt die örtliche Polizei an jenem Abend auf. An diesem Sonntag treffen beide Mannschaften zum 320. Mal in einem Pflichtspiel aufeinander. Talentkritiker bringt euch in dieser Ausgabe unserer neuen Kolumne nun die Geschichte des Derbys und die derzeit größten Talente beider Mannschaften näher.
Klassenkampf auf dem Rasen – Die Geschichte des Wiener Derbys
Der Begriff des „Wiener Derbys“, welcher in den 1950er Jahren entstanden ist, beschreibt eben jene Rivalität zweier lokal angrenzender Fußballvereine wie sie in fast jedem Land Europas vorkommt. Doch nicht nur der Lokalpatriotismus spielte in der Anfangszeit des Derbys eine große Rolle – man kann quasi von einem Klassenkampf sprechen, der sich auch auf dem grünen Rasen manifestierte. Rapid, bereits 1898 als Verein der Wiener Arbeiterschicht gegründet, gegen Austria, den gutbürgerlichen Oberschichtenklub, der bei seiner Gründung sogar einen Intelligenzparagraphen für Spieler und Mitarbeiter vorsah – die Brisanz und Spannung dieses Aufeinandertreffens beider im gleichen Stadtbezirk beheimateter Vereine ist förmlich vom Bildschirm aus spürbar. Wenngleich dieser Klassenunterschied besondere Brisanz versprach, hatte er kaum Einfluss auf den Gewinn der höchsten Trophäe in Österreich. Die Meisterschaft entschied sich in der Folgezeit ihrer Entstehung meist zwischen Rapid und dem dritten Wiener Traditionsverein, Admira Wacker, der heute schnell in Vergessenheit gerät.
Proletariat gegen Bourgeoise, Kampfgeist gegen Technik – diese binären Versprachlichungen des Geschehens auf dem Rasen wirkten weit bis in die 1930er Jahre fort. Während Rapid sich auch aufgrund der sozio-politischen Umstände der Entwicklung des Vereins als Arbeiterklub der Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich während der 2. Weltkrieges unbeschadet gegenüber sah, wurde Austria Opfer rassistisch motivierter Vertreibungen.
Von den Nachkriegsjahren bis weit in die 1990er Jahre entwickelten sich beide Vereine, nun auch räumlich getrennt, zu den erfolgreichsten Mannschaften Österreichs. In den 70ern und 80er Jahren gingen die Meistertitel beispielsweise ausschließlich an einen der beiden Klubs. Auch heute finden sich beide Mannschaften in einem Spannungsverhältnis wieder: Während Rapid als Verein „der Straße“ gilt, der traditionell mehr Fans aktionistisch ins Stadion und auf den Asphalt bekommt, gelten die Austria Fans (derzeit vergleichbar mit den Anhängern Borussia Mönchengladbachs) als überpenibel und sehr kritisch der eigenen Mannschaft gegenüber. Die Pflichtspielbilanz weist Rapid in der Pflichtspiel- und Meisterschaftshistorie als Sieger des lokalen Duells aus – im Cup hat die Austria die Nase vorn.
Augen auf am Prater: Auf diese Talente müsst ihr achten
Tamás Szántó (Rapid Wien)
Der ungarische Juniorennationalspieler, der im vergangen Jahr sein Debüt für die U21 des ehemals an Österreich angegliederten Staates feierte, ist wohl die größte Überraschung dieser Saison. Von Trainer Mike Büskens gefördert und Sportdirektor Andreas Müller langfristig an den Verein gebunden, nimmt der junge Ungar die Zehnerposition der Mannschaft ein und dirigiert auf dem Feld die Mannschaft schon wie ein Großer. Von nicht wenigen wird er schon als designierter Nachfolger der bereits angesprochenen Klubikone Steffen Hofmann angepriesen – den Kapitän hat er wohlgemerkt auf die Bank verdrängt. Schnell und wendig sowie mit einer guten Spielübersicht und dem Gespür für den freien Raum gesegnet, agiert Szántó im letzten Drittel des Spielfeldes als offensiver Mittelfeldspieler in der klassischen Spielmacherrolle; bei Bedarf lässt er sich zudem gerne etwas nach hinten fallen, um sich Bälle für die Einleitung neuer Angriffssituationen selbst zu beschaffen. Auf seiner Zweitposition als Achter verkörpert er als Paradebeispiel den modernen Box-to-Box Player. Charakterlich zeichnen ihn laut Aussagen der Verantwortlichen Rapids vor allem eine saubere Arbeitseinstellung, Fleiß und Bodenständigkeit aus. Tendenz: Szántó wird seinen Weg gehen und früher oder später in einer größeren Liga landen.
Lucas Venuto (Austria Wien)
In der Akademie von RB Brasil und RB Leipzig ausgebildet, ist der flinke Brasilianer, der von der Beraterfirma ROGON Sports bereut und damit auch bei Eintracht Frankfurt auf dem Zettel stehen dürfte, bei Austria unter Thorsten Fink auf den Außenbahnen nicht wegzudenken. Mit elf Torbeteiligungen in neunzehn Spielen weiß der kleine Edeltechniker (1,64m Körpergröße), der vor der Saison aus Grödig als Kompensation des Abgangs Alexander Gorgons verpflichtet wurde, durch seine Unnachgiebigkeit im Spiel gegen den Ball und im eigenen Dribbling, seine hohe Grundschnelligkeit in der vertikalen Bewegung sowie seinen Zug zum Tor zu überzeugen. Den Ball führt Venuto in direkten Offensivaktionen meist unkonventionell eher weit weg vom Fuß, wodurch er in der Lage ist, Gegner zu überlaufen oder durch unkonventionelle Körpertäuschungen auszuspielen. Dies bereichert sein Spiel vor allem in Situationen, in denen er Platz für seine Aktionen bekommt. Gegen taktisch clever organisierte und gut verschiebende Defensiven wirken seine Aktionen weniger erfolgsversprechend. Unsere Meinung: Venuto muss weiter an sich arbeiten, um den nächsten Schritt zu machen – einem aufstrebenden Verein wie Eintracht Frankfurt würde er durchaus gut zu Gesicht stehen.
Joelinton (Rapid Wien)
Kommen wir zu einem alten Bekannten und einem der gefühlten 100 Spieler, die sich bei der TSG Hoffenheim nicht auf durchsetzen und an einen anderen Verein verliehen worden sind. Im Fall Joelintons ist es sogar eine zweijährige Leihe, die sich ähnlich des Modells Andreas Christensen, durchaus bezahlt machen könnte. Oft als klassischer Mittelstürmer eingesetzt, der durch seine Durchsetzungsfähigkeit im Zweikampf und im Strafraum, sowohl als vorderste Anspielstation, die Bälle festmachen und weiterverteilen, aber auch als zentraler Abnehmer in der Box fungiert, weist eine für seine Position durchschnittlich hohe Vorlagenquote auf. Dies liegt vor allem daran, dass er durch technisch starke Aktionen nach der Ballbehauptung den Ball für seine Mitspieler auflegt, sodass diese selbst zum Torabschluss kommen können. Joelinton lässt sich selbst jedoch auch gerne ins Mittelfeld fallen, um durch seine raumgreifenden Schritte und seine Qualitäten im Dribbling oft selbst Angriffssituationen gut einzuleiten, bei denen er seine körperlichen Stärken bereits in der Nähe des Mittelkreises einsetzt. Mit einem guten Kopfballspiel ausgestattet, verschafft ihm seine Robustheit in Flankensituationen auch in der Zentrale entscheidende Vorteile. Fazit: Insgesamt ist Joelinton als ein dribbelstarker 9er zu bezeichnen, von dem wir in Zukunft sicher noch viel hören werden – bei guter Weiterentwicklung vielleicht sogar als Nachfolger von Sandro Wagner.
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